Wabi Sabi text

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WABI SABI

Daniela Nicklas, Kunsthistorikerin M.A., Berlin, 24.Juni 2018

Die Titel WABI SABI I, II und III bezeichnen verwandtschaftliche Reihen von Fotografien, in denen sich jede einzelne dem Portrait einer Blume widmet. Gemeinsam zeichnet diese Arbeiten aus, dass alle Pflanzen vor der Aufnahme einen sorgfältigen Trocknungsvorgang im Atelier durchlaufen. Lagerung und Dosierung der UV-Einstrahlung geben dem Prozess eine Richtung und hinterlassen Spuren, die im Bild sichtbar werden. Wider Erwarten sind diese Spuren keine Zeichen der Auflösung sondern intensive Farben, filigrane Falten und Kanten, Blütenstaub und Blattadern. Die toten Blumen wirken lebendiger denn je, verstärkt durch einen tiefdunklen schattenfreien Hintergrund. Die Aufnahmen erfolgen grundsätzlich bei Tageslicht und werden durchgängig in quadratischem Format als Dye Transfer Print oder als Archival Pigment Print auf speziellen Baumwollpapieren wiedergegeben.

Der Begriff Wabi Sabi verweist auf ein ästhetisches Empfinden, das in Japan als kulturelle Tradition fest verwurzelt ist. Es ist kein sprachlich gefasstes künstlerisches Konzept, kein Manifest oder Erklärungsmodell und gibt auch als Titel keine Interpretation für die Fotografien wieder. Vielmehr legen die Darstellungen der welken Blumen den Begriff für uns aus. Wabi Sabi bezeichnet ausdrücklich nicht eine materielle oder Sinnebene, sondern verweist auf den Erlebnisvorgang. Es entsteht im Tun, im Umgang mit dem Objekt, traditionell innerhalb der Teezeremonie. Eine einfühlsame Beschreibung dieser Zusammenhänge und Wahrnehmungserlebnisse findet sich in dem Essay „Lob des Schattens, Entwurf einer japanischen Ästhetik“ von Tanizaki Jun’ichiro. Hier werden Schlüsselbegriffe eingeführt, mit denen dem Betrachter eine mühelose Annäherung an die Wabi Sabi Reihen von Kathrin Linkersdorff gelingt. Es lohnt sich, sein Augenmerk gezielt auf das Wechselspiel von Glanz und Dunkelheit zu legen und nach dem Schattenspiel zu suchen, dass sich im wahrsten Sinne des Wortes zwischen Farben und Formen entfaltet. Der Zwischenraum ist realer Bedeutungsträger. Kathrin Linkersdorff verschafft uns die Möglichkeit, im Betrachten der Fotografien, in einen Wabi Sabi Vorgang einzutauchen. Bei Tanizaki Jun’ichiro liest sich das so: „…eine Lackmalerei in Gold soll nicht an einem hellen Ort mit einem Blick als Gesamtheit überschaut werden, sondern sie ist so beschaffen, daß man an einem dunklen Ort von Zeit zu Zeit den einen und dann wieder den anderen Teil tiefgründig aufleuchten sieht.“ Einen anderen ebenfalls beleuchtenden Akzent setzt Leonard Koren. Er beschäftigt sich eingehend mit dem Begriff Wabi Sabi. Seine Herangehensweise entspricht einer westlich geprägten wissenschaftlichen Betrachtung und stellt die Kontraste und Unterschiede in den Vordergrund. „Wabi Sabi bezeichnet die Schönheit unvollkommener, vergänglicher und unvollständiger Dinge. Es bezeichnet die Schönheit anspruchsloser und schlichter Dinge, die Schönheit unkonventioneller Dinge.“ Und an anderer Stelle: „Wabi-Sabi stellt das genaue Gegenteil dar zu dem westlichen Ideal grosser Schönheit als etwas Monumentalem, Grossartig-Pompösem und Dauerhaftem. Es findet sich in der Natur nicht in Augenblicken der Blüte und Üppigkeit, sondern vielmehr in Momenten des Beginnens und Ausklingens…“ Die Fragen des Beginnens und Ausklingens beleuchten bei den vorliegenden Wabi Sabi Reihen vor allem die Motivwahl und Ausarbeitung. Hier finden komplexe Verknüpfungen und Überkreuzungen statt. Real totes Material, wie die getrockneten Blüten erscheinen im Bild in starker Farbigkeit und erzeugen eine Atmosphäre von großer und frischer Lebendigkeit. Die kaum noch materiell vorhandenen Blumen erscheinen in der Fotografie wie aus dem Leben gerissen. Auch in der westlichen Tradition dem Tod zugerechnete Farben, wie das Schwarz, werden durch sorgsame Proportionierung, Ausarbeitung und handwerkliche Sorgfalt im Druck zu einem lebendigen Urgrund. Das Schwarz ist Raumgeber, Bühne, umfassend. Es endet nicht mit dem Bildrand, es denkt sich fort. Spielerische Freude und Leichtigkeit ziehen in die schweren Themen ein und formen aus den Bildern des Abschieds und des Todes Wahrnehmungen von Anfang und Aufbruch. Der Umgang mit der japanischen Ästhetik, auf die uns die Titel der Reihen verweisen, ist nicht nur für die Fotografin, die in Japan gearbeitet, Sprache und Kultur studiert hat, sondern auch für den Betrachter ein interkultureller Vorgang. Interkulturell besonders deshalb, weil auch die Verwurzelung in der abendländischen Sehgewohnheit und Kulturtradition weder verleugnet noch abgelegt wird. Die Pflanzenfotografien von Karl Blossfeldt stehen ebenso in verwandtschaftlicher Beziehung zu Kathrin Linkersdorffs Aufnahmen, wie Tulpen und Blütenaufnahmen von Irving Penn. Die verschiedenen Ausformulierungen stärken sich gegenseitig und die Seherfahrung, die der Betrachter einbringt, bahnen den Weg zum eigentlichen Bilderlebnis.

Aus tiefer Dunkelheit leuchtet in der Farbigkeit ein Glanz auf, der den schon vergangenen Blumen eine Schönheit verleiht, die sie vielleicht auf der Höhe ihrer Blüte nie besessen haben.

 

WABI SABI

Daniela Nicklas, Art historian M.A., June 24, 2018

The titles WABI SABI I, II, and III refer to related series of photographs in which each one is dedicated to the portrait of a flower. These works have in common that each plant undergoes a careful drying process in the studio before being photographed. Storage and exposure to UV light confer an orientation to the process, leaving traces that are perceptible in the final image. Rather than being signs of decomposition and contrary to expectations, these traces are marked by intense colours, filigree folds and edges, pollen, and leaf veins. Standing out from a deep black and shadow-free background, the dead flowers appear to be more alive than ever. The photographs are all taken in daylight and printed in a square format either in a dye transfer process or as an archival pigment print on special cotton papers.

The term of Wabi Sabi refers to an aesthetic sensibility that is firmly rooted in Japanese cultural traditions. Neither is it a linguistically defined artistic concept, manifesto, or explanatory model, nor intended to provide an interpretation of these specific series of photographs. Far more, the imagesof the withered flowers themselves deliver an interpretation ofthe term. Wabi Sabi explicitly does not designate a material or cognitive level of meaning but refers to an experience process evolving from our conduct and our handling of the object, traditionally within a tea ceremony. An empathic description of these coherences and perceptual experiences can be found in Tanizaki Jun’ichiro’s essay “In Praise of Shadows”. Here, key terms are introduced that enable an effortless approach to Kathrin Linkersdorff’s Wabi Sabi series. It is worth focusingon the relationship between shine and darkness in a search for the play of shadows that literally unfolds between the coloursand forms of the image. The space in-between is the truebearer of meaning. When we look at the photographs, Kathrin Linkersdorff empowers us to immerse ourselves in a WabiSabi process. In the words of Tanizaki Jun’ichiro:“…Lacquerware decorated in gold is not something to be seen in a brilliant light, to be taken in at a single glance; it should be left in the dark, a part here and a part there picked up by a faint light. Leonard Koren sets a likewise enlightening accentin his in-detail study of the term of Wabi Sabi. Through his emphasis of contrasts and differences, his view corresponds to an occidental scientific approach: “Wabi Sabi is a beauty of things imperfect, impermanent, and incomplete. It is a beauty of things modest and humble. It is a beauty of things unconventional.” And elsewhere: “Wabi Sabi represents the exact opposite of the Western ideal of great beauty as something monumental, spectacular, and enduring. Wabi Sabiis not found in nature at moments of bloom and lushness, but at moments of inception or subsiding…

In the Wabi Sabi series, the question of beginning and end isexemplified mainly by the choice and elaboration of the motifs. Here, we find complex nexuses and cross-overs. Real dead material such as dried flowers appears in the images in strong colours, thus creating an atmosphere of great vitalityand freshness. The flowers, whose material form hardly any longer exists, appear in the photographs as if torn from life. The colour black – associated with death in Western tradition– is transformed into a primal living ground through the means of intricate proportions, detail work, and craft printing skills. Black is a space giver, an all-embracing stage. It reaches out beyond the contours of the image. Playful happiness and weightlessness slide into the sombre themes of farewell and death and mould an awareness of inception and awakening.

The approach to Japanese aesthetics to which the titles of the series refer is not only an intercultural process for the photographer who has worked in Japan and studied the Japanese language and culture, but also for the viewer. This is especially true since Linkersdorff neither denies nor discards her roots in occidental viewing behaviour and cultural traditions. Karl Blossfeldt’s plant photographs are just as much related to the Wabi Sabi series as are Irving Penn’s tulips and flowers. These distinct formulations are supportive of one another and the viewer’s personal visual experience paves the way towards the encounter with each image. Out of the depths of darkness a shine radiates from the colours, bestowing the already wilted flowers with a beauty which, at the height of their bloom, they perhaps never possessed.

Translated from the German by Dr. Helen Adkins